Party: Michel Van Dyke - "Doppelleben Tour"

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Party: Michel Van Dyke - "Doppelleben Tour"

„Ich gönne jedem Menschen ein Doppelleben - und selbst zwei Leben sind eigentlich noch viel zu wenige“, lacht er, leise, unaufdringlich, hintergründig. Auch wenn er es selbst nie so ausdrücken würde: Michel van Dyke weiß, wovon er spricht, schließlich kann er auf eine beachtliche Karriere verweisen - genauer: auf gleich zwei. Eine als Sänger und Frontmann, eine als Produzent und Hitlieferant. Schwer zu sagen, welche der Laufbahnen die vordergründige ist, der Übergang war oft weich. Aber jede für sich hätte bereits gereicht, um ihm zu dem Ruf zu verhelfen, den er heute genießt: als Unikat der Szene, detailverliebter Genius und Melodienfinder, als jemand, der, gebürtig in Holland, dem deutschsprachigen Pop einige seiner größten Texte beschert hat.

„Doppelleben“ ist Michel van Dykes erstes Solo-Album seit mehr als zehn Jahren. Und der Titel klingt nach einem Verweis auf die berufliche Vita des Künstlers, nach Rückschau und Bestandsaufnahme. Durchaus erwartbar wäre das – aber: Das Gegenteil ist der Fall.

„Der Titel ist mein kleines Plädoyer wider die Eindimensionalität. Jede Persönlichkeit hat unter der einen Oberfläche so viele Facetten, die alle gelebt werden wollen. Genauso geht es mir mit meiner Musik. Ich hatte das Bedürfnis, neue Seiten von mir zu zeigen und meiner musikalischen Sprache neue Ausdrücke hinzuzufügen: Einerseits bin ich ein klassischer

Songwriter und liebe Melodien, auf der anderen Seite aber faszinieren mich tanzbare Grooves - und ich hatte auch immer schon eine große Affinität zu der Art, wie etwa Mike Skinner oder Bob Dylan ihre Geschichten im Sprechgesang erzählen. Also habe ich mich inspirieren lassen, Altes traf auf Neues. In diesem Spannungsfeld ist das Album entstanden, und,Doppelleben‘ schien mir der passende Titel.“

Für „Doppelleben“ holt sich Michel van Dyke neue Leute ins Boot. Bislang entstanden alle Produktionen in Eigenregie, nun sitzt Swen Meyer als Co mit am Mischpult. Und der für seine Arbeit mit Tim Bendzko, Kettcar und Fettes Brot bekannte - und praktischerweise gleich in der Hamburger Nachbarschaft ansässige - Produzent katapultiert die von van Dyke angestoßene Entwicklung mit Groove-Gefühl und elektronischer Expertise schlagartig auf eine neue Ebene. Zu hören in den ungewohnten Beats von „Wegen der Musik“ mit Deichkind-Mitglied Ferris MC als Gast, vor allem aber in der ersten, vor Experimentierfreude und fast jungenhaftem Schalk vibrierenden Single „Ging in die Welt hinaus“. Den groove-betonten Songs gegenüber stehen introvertierte Chansons wie „Lieber traurig“ oder auch das seelentiefe „Außer mir vor Liebe“, in denen Michel van Dyke unkonventionelle, aber um so treffendere Wort- und Klangbilder für Sehnsüchte und Gefühlswirren findet. Hinzu kommen im Breitwandformat orchestrierte Hymnen wie „Beklagen“ und das sich langsam bis zu einem emotionalen Klimax steigernde „Nichts von dir preis“, aber auch Songs, die von allem etwas in sich vereinen, wie das mit sommerlichem Flow daherkommende „Sie hat bestimmt ein Geheimnis“. Komplettiert wird der Reigen durch das Instrumental „Lino Ventura“ - ein Bonbon mit Tradition: „Jedes meiner Alben hat einen Track, der den Namen eines verstorbenen Schauspielers trägt, eines Helden meiner Kindheit. Und es ist immer ein Instrumental. Jedes Album sollte dem Hörer seine Ruhepunkte gönnen, um von den aufmerksamkeitsheischenden Texten entspannen zu können.“

Von dieser einen Ausnahme abgesehen, haben die Songs auf „Doppelleben“ bei aller Vielfalt immer mindestens eines gemein: Michel van Dykes ureigene Mélange aus Melancholie und Leichtigkeit, mit der er seine Geschichten erzählt. Oder auch erzählen lässt: Parallel zur Arbeit an „Doppelleben“ verfasste Michel van Dyke eine Sammlung von Kurzgeschichten,
jeweils nach einem Song des Albums benannt; eine dieser Geschichten, „Nordsee“, findet sich als Bonustrack auf dem Album, vorgetragen von einem Mann mit Stimme und Lebenserfahrung, dem befreundeten Schauspieler Jan Josef Liefers.

„Das ist ein Teil von mir: Tragik und Komik gehören für mich schon immer untrennbar zueinander. Komik ohne Tragik wäre einfach nur langweilig. Und Tragik würde ich ohne Komik vermutlich nicht aushalten.“ Tragik und Komik, Meldodiegespür und Sprechgesang, tanzbare Beats und fein beobachtete, doppelbödige Geschichten, Perfektionismus und Offenheit für Neues - kein Widerspruch. Zumindest keiner, der sich nicht in Michel van Dyke vereinen würde. Das, was er daraus macht, sind in vielen Facetten schillernde Kleinode, jeder Song für sich eine Fundgrube voll möglicher Entdeckungen. Um eine musikalische Einordnung seiner Kreationen ist Michel van Dyke nicht verlegen: Pop.
Ganz bewusst: „,Pop‘ ist für mich kein Schimpfwort. Vielleicht, weil ich aus Holland komme - in Deutschland fährt man meist besser, wenn man versucht, den Anschein von Bedeutsamkeit zu erwecken. Aber ich möchte Musik für alle machen. Es ist ein Traum von mir, dass bei meinen Songs die gesamte Großraumdisco die Tanzfläche stürmt. Natürlich ist das eine naive, romantische Vorstellung. Aber ich sehe das einfach so: Ein guter Song bewegt - oder er animiert dazu, sich zu bewegen.“

Oder aber beides zugleich: Klug war seine Musik schon immer, nun kommt noch etwas Neues hinzu. Michel van Dyke, das bedeutet nun Songs für Hirn und Hintern, gewissermaßen. Auch eine Form von Doppelleben.